Ich bin in einem atheistischen Elternhaus aufgewachsen. Mein Glaube, der sich in keine Religion einpassen lässt, entwickelte sich im Laufe meines Lebens ganz von selbst. Es ist ein Glaube an die Natur, an die allem innewohnende Schöpfungskraft, an Werden und Vergehen, an zyklische Entwicklungsmuster, an etwas, das größer ist als ich und als wir, etwas, das Sein und Nichtsein umfasst, an die Verbundenheit von allem mit allem…
Als ich kürzlich mit meinem Vater telefonierte, um ihn über seinen Vater auszufragen, dabei ein wenig von unserem geplanten Samhain-Ritual erzählte, meinte er: “Von mir hast Du das nicht…” Nein, das nicht. Aber die Liebe zum Garten, das Immer-aktiv-sein, das Berührbarsein und sicherlich noch vieles mehr…
Mein Großvater väterlicherseits kam 1906 in Schwerin zur Welt und starb 1980 mit nur 74 Jahren. Ich war bereits 14 Jahre jung. Trotzdem habe ich sehr wenig bewusste Erinnerungen an ihn. In Gedanken verbinde ich ihn mit Spaziergängen in den Friedrichsthaler Wald, mit den dort wachsenden Fliegenpilzen und mit im Ausflugslokal getrunkener Fassbrause.
Mein Großvater verlor früh seinen Vater, der bei einem Betriebsunfall ums Leben kam. Er war Elektromeister und starb bei der Behebung eines Defektes, zu dem er trotz Krankheit gerufen wurde, an einem Stromschlag. Karl August – mein Opa – lernte Orthopädiemechaniker…
…um später zum Heizungsmonteur umzusatteln. Er war leidenschaftlicher Radrennfahrer und Zweierkunstradfahrer.
Das Wort, das mein Vater bei seinen Erzählungen über seinen Vater am häufigsten gebrauchte, war “gewissenhaft”. Auf meine Nachfrage hin wurde schnell deutlich, dass es sich dabei um eine Art von Genauigkeit und Perfektionismus handelte, die mir sehr vertraut ist. AHA! Eine Spur, die sich bis in mein Leben fortsetzt.
Für wenige Wochen war er NSDAP-Mitglied. Dann wurde er herausgeworfen; er hatte mehrfach “aufgemuckt”. Zu DDR-Zeiten wurde ihm ebenfalls nahegelegt, der SED beizutreten, um die Meisterschule machen zu können. Das verweigerte er – aber auf Umwegen gelang ihm trotzdem der berufliche Aufstieg, der seinem Wissen und seinen Fähigkeiten zu verdanken war. “Meister” durfte er sich jedoch nicht nennen. Mein Großvater ließ sich nicht gern sagen, was er tun bzw. lassen solle und brauchte immer seine Freiräume, um selbst entscheiden zu können. Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor…
Und mein Großvater feierte gern, war ein Animateur der guten Laune, war auch ein “Halodri” und war deshalb anfangs bei seiner Schwiegerfamilie nicht gern gesehen. Trotzdem heiratete er meine Großmutter und wurde Vater einer Tochter und eines Sohnes.
Im zweiten Weltkrieg arbeitete er in der Malchower Munitionsfabrik und war dort für die Heizungsanlage zuständig. Deshalb wurde er erst 1944 sehr spät eingezogen. Nach zwei Jahren – er war in amerikanischer Gefangenschaft – kam der 1,81 m große Mann mit einem Gewicht von knapp 50 kg zurück. Über diese Zeit sprach er kaum. Er glaubte, die Gefangenschaft nur überlebt zu haben, weil er praktisch so versiert war, dass er aus einem Nichts ein Etwas bauen konnte – aus Schrottteilen eine Dusche z. B.
Er war musikalisch und ein humorvoller Schelm. Diese Kombination aus gewissenhaft und lebensfroh gefällt mir. Und so stelle ich ein Foto von ihm auf und erinnere mich seiner mit einem Gefühl von Dankbarkeit.