...begann mit ihren Auswirkungen in mir schon einige Tage vor meinem Aufbruch. Ich war von innerer Unruhe erfüllt, einem unguten Gefühl in der Magengegend, das ich nicht zuordnen konnte. Anfangs war es nur ein vages Drücken... Mein Plan sah in diesem Jahr anders aus als in den Jahren zuvor. Ich wollte dieses Mal nicht wandern und mir allabendlich einen neuen Schlafplatz im Wald suchen, sondern hatte vor, in einen Wald umzuziehen und dort zu bleiben, um aus dem TUN im SEIN anzukommen... Das Wandern, das Finden und das Ankommen an einem neuen Platz, Wasser finden und filtern, das Auf- und Abbauen des Tarps binden Zeit und Aufmerksamkeit und das, was ich aus dem Alltag gut kenne - das Tun - nimmt großen Raum ein.
Widerstand oder Intuition?
Ich wollte den größten Wald im Klützer Winkel aufsuchen. Allerdings nahm mein Unwohlsein zu, je näher der Tag der geplanten Abreise rückte. Seit nunmehr fünf Jahren schenke ich mir jedes Jahr eine Draußenzeit. Deshalb weiß ich inzwischen, dass das mehrtägige Alleinsein in der Natur mir neben wundervollen Erfahrungen wie Tierbegegnungen und Verbundenheitsgefühlen immer auch Herausforderungen bringt. Und die katapultieren mich erstmal aus meiner Komfortzone heraus, bevor ich ihren Schatz bergen kann. Ich vermutete also, dass mein unwohles Gefühl mich vom Verlassen meiner Komfortzone abhalten wollte - ein Widerstand sozusagen... Aber so anhaltend? In der Regel kann ich mich auf meine Intuition verlassen. Jetzt jedoch war ich ratlos. Wie sollte ich zwischen Widerstand und (in diesem Fall warnender) innerer Stimme unterscheiden? Mir half das Sprechen mit einer meiner Schwestern und ein Experiment: Ich stellte mir vor, in den Wald zu ziehen, in dem sich mein Sitzplatz befindet und sofort setzte Entspannung ein. Es fühlte sich an, als fielen zentnerschwere Steine von mir ab. Ich atmete auf und mein ganzes inneres System sagte JAAAA. Dachte ich hingegen daran, in den Leonorenwald zu gehen, zog sich wieder alles in mir zusammen und wurde schwer und drückend. Auf diese deutlichen Signale hörte ich dann, veränderte meinen Plan und zog zu meiner Sitzplatz-Buche. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen konnte, wovor mich meine innere Stimme beschützte, ging ich da schon davon aus, dass sie es tat. Mir tut es gut, auf sie zu hören und mich so selbst ernst zu nehmen.
Erstmal ankommen
Der Ruf eines der zwei hier lebenden Kolkraben an der Schwelle zum Wald freute mich. Wo war nur der zweite? Ich betrat den Wald, nahm die Veränderung des Lichtes, der Temperatur, des Duftes wahr und sah die Buchen, Fichten, Eschen, Eichen, ab und an eine Vogelkirsche, einen Holunder, eine Eberesche und die Blumen - die letzten Veilchen und Buschwindröschen, leuchtende Goldnessel, die weißen Blüten des Wald-Hornkrauts...
...den ebenfalls blühenden Waldmeister und die ersten feinen Blüten des Ruprechtskrautes (2011 hatte ich damit gefärbt und gedruckt (KLICK))
Dann kam ich zu "meiner" Buche. Es tat sooo gut, mich auf die Erde zu setzen, meinen Rücken an ihren Stamm zu lehnen und zu atmen. Ich liebe den Blick in ihre ausladende Krone und bestaunte das Licht, das zu dieser Jahreszeit durch die schon großen, aber noch zarten Blätter fällt.
Und doch dauerte es diesmal eine lange Zeit, bis ich wirklich angekommen war. Wie viele Gedanken durch meinen Kopf flogen, war mir bis dahin kaum bewusst. Ich bemerkte es erst hier, als ich nichts musste, sollte, wollte, sondern einfach sein durfte... Die sinnliche Wahrnehmung half mir beim Ankommen. Ich spürte den Waldboden unter mir, hörte das trockene Laub des Vorjahres rascheln. Der Wind strich mir über die Haut. Ich knabberte etwas Sauerklee und schmeckte die frische und angenehme Säure. Und dann tat ich weiter nichts. Nahm nur wahr. Sah die feinen Buchenblätter sich im Wind bewegen, beobachtete das Licht- und Schattenspiel, folgte dem Flug von Schmetterlingen mit den Augen, lauschte den Geräuschen des Waldes, dem Zwitschern, Rufen, Singen, Krächzen des gefiederten Volkes und immer wieder dem Wind, der dort an meinem Platz kräftig blies. Ich lauschte und lauschte...
Die erste Nacht
Für die Nacht legte ich eine Plane in die mit trockenem Laub gefüllte Senke, meine Isomatte darauf und mein Bett war fertig. Die Sonne sank...
...die Dämmerung fiel, die zunehmende Dunkelheit verschluckte die Farben, die Geräusche veränderten sich. Ich kroch in meinen Schlafsack, der Wind lullte mich ein und ich dämmerte hinweg. Ich kann in der Regel gut und überall schlafen, merke jedoch, dass der Schlaf draußen eine andere Qualität hat. Er ist leichter und erlaubt mir, bei ungewohnten Geräuschen schnell zu erwachen. Da sitzt mir wohl etwas Uraltes in den Genen. Ich hörte es Knabbern und Knuspern und erinnerte mich an ein Mäuschen, das ich in einer früheren Draußenzeit kennengelernt hatte. Ein Geschöpf trabte in der Nähe meines Schlafplatzes rasch vorbei. Das trockene Laub machte jede Bewegung hörbar. Ich vermutete, es war ein Fuchs, bin aber nicht sicher. Allerdings war mein Schlaf tief genug, dass ich nicht merkte, dass Mücken mir mitten in meine Nasenspitze gestochen hatten. Als ich erwachte, pochte und pulsierte sie und war angeschwollen. Überhaupt gab es hier sooo große und viele Mücken. Der viele Regen in der letzten Zeit hatte dafür gesorgt, dass alle Senken im Wald mit Wasser gefüllt waren und sich kleine Teiche und Wassergräben gebildet hatten. Ideale Mückenbedingungen also... Deshalb beschloss ich, für die nächsten Nächte Ramonas (KLICK) Moskitonetz aufzuhängen und mich so vor den kleinen Blutsaugern zu schützen.
Das Mini-Feuer hüten
Am Morgen kochte ich mir mit meinem ganz einfachen Holzkocher, der aus einem Ikea-Besteckbehälter, zwei langen Schrauben und einer Metalltasse besteht, einen Tee. Ich hatte Rohrkolbenwolle und feine Streifen Birkenrinde als Zundermaterial dabei, sammelte kleine Zweige und schlug mit Feuerstahl und Magnesiumstab heiße Funken ins Zundernest. Wie ich es liebe, so ein klitzekleines Feuer zu schüren und achtsam zu füttern, mit meiner Aufmerksamkeit nur bei den feinen Flammen zu sein!
Der so zubereitete Tee schmeckte mir besonders köstlich. Durch das Fasten - ich trank morgens Tee und ansonsten Wasser - verlangsamte ich. Zeit wurde bedeutungslos. Ich beobachtete einzig den Lauf der Sonne, suchte mir Sonnenflecken auf dem Waldboden und badete dort in Wärme und Licht. Ab und an summte oder tönte ich, aber die meiste Zeit war ich still. Ich schrieb nicht einmal Tagebuch.
Tierbegegnungen
Ein großer Feldhase drückte sich in seine Sasse, bis ich ganz nah heran gekommen war. Erst dann sprang er auf und flitzte davon. An einem anderen Morgen kam er (oder ein anderer) bis nah an meinen Schlafplatz heran, zupfte hier und naschte dort, hoppelte auf das nahe Feld und kam später wieder zurück. Er war ganz gemütlich unterwegs. Anders als einige Wildschweine abends, die wohl an die feuchte Senke wollten, mich jedoch witterten und schnell wie der Wind davonstoben, so dass die trockenen Zweige unter ihnen nur so krachten. Tja, wieder kein Glück bei der Beobachtung. Dabei gibt es in der Nähe meines Sitzplatzes eine viel besuchte Suhle und zwei eindrucksvolle Mahlbäume. Solang ich jedoch da war, ließ sich dort kein Schwein blicken.
In der zweiten Nacht hörte ich langsame, aber kraftvolle Schritte eines Zweibeiners, die näher und näher und dann ganz nah kamen... Ich hörte, wie etwas an meinem Rucksack zupfte, der vor dem Moskitonetz an einem Baum lehnte, hob ganz langsam den Kopf. Der Nandu erschrak und rannte davon. Wow! So nah war ich noch keinem gekommen. Im Dezember hatte ich hier in meinem Sitzplatzwald bereits ein Ei (KLICK) gefunden, wußte also, dass sie hier brüten.
Ich hörte die sehnsuchtsvollen Stimmen der Kraniche, den Ruf des Bussards, sah, wie der Rotmilan sich am Waldrand auf einem hohen Baum niederließ.
Beim Umherstromern und Federn sammeln erschreckte ich einen Rehbock, der seinem Unbehagen noch lange und lautstark Ausdruck verlieh. Eine Ricke kam nah an meinem Platz vorbei. Sie nahm mich wohl nicht wahr und blieb ganz entspannt, denn der Wind stand gut für mich und ich war mucksmäuschenstill.
Aber ich beobachtete auch viele kleine Geschöpfe: Springspinnen, Libellen, Käfer, eine rote Samtmilbe...
...und ganz viele Hummeln. Einige Zeit lag ich einfach auf dem Bauch und betrachtete den einen Quadratmeter Waldboden vor meiner Nase. Wieviel Leben darin war und wieviel Tod... Werden, Wachsen und Vergehen, im Kleinen wie im Großen und ich selbst war Teil des Ganzen...
Herausforderung
Es war durchweg wunderbares Sommerwetter im Mai. Selbst nachts war es warm, so dass ich unter dem Moskitonetz sogar mit offenem Schlafsack liegen konnte. Ich hatte darauf verzichtet, mein Tarp aufzuspannen und genoss es, unter freiem Himmel und dem so grünen Blätterdach zu sein. Dann tauchten Wolken auf und der Himmel zog sich recht rasch zu. Obwohl auch die Mücken mich warnten, immer rasender wurden und ich ihre Sprache hätte verstehen können, hörte ich nicht auf sie. Und dann war es zu spät... Ein Gewitter krachte los. Blitz und Donner, gepaart mit Starkregen. Jetzt war es auch zu spät, das Tarp aufzuspannen. Dieses Moskitonetz ist aufgrund seiner Pyramidenform ohnehin nicht tarptauglich. Also schlüpfte ich lieber hinein, hockte mich auf meine Isomatte, zog das Tarp über mich und meine Sachen und hoffte darauf, dass das Gewitter schnell vorüber ging. Stattdessen blitzte es grell, krachte der Donner, ging es Schlag auf Schlag. Der Regen nahm eher noch zu, das Gewitter beruhigte sich mal, flammte dann jedoch wieder neu auf und ich hatte Angst... Um mich zu beruhigen, sang ich ein Lied der Cherokee und wiederholte es ein ums andere Mal. Das half mir tatsächlich, inmitten des Tumultes ruhig zu werden.
Als das Gewitter dann vorbei war und es nur noch von den Bäumen tröpfelte, hockte ich unter dem Moskitonetz mitten in einem See aus Regenwasser. Meine Picknickdecke, die mir als Unterlage gedient hatte, war ebenso nass wie meine Jacke, mein Daunenschlafsack und einfach alles...
Auf dem Regenwassersee schwammen Blütenpollen und zeigten schlierige Muster. Es war irgendwie absurd und zum Lachen. Ich betrachtete die Situation und beschloss, dass meine Draussenzeit jetzt beendet sei, rief meinen Gefährten an und bat ihn, mit unserer großen Einkaufskiste in den Wald zu meinem Sitzplatzbaum zu kommen. Dorthinein kamen die schweren nassen Sachen, die wir zu Hause im Garten zum Trocknen aufhängten.
Das war eine für mich ziemlich neue Situation, denn es entspricht mir eher, die Zähne zusammen zu beißen und allein eine Lösung zu finden. Da ich das aber kann, war meine Lernaufgabe hier eine andere.
Rainer staunte auch, denn er hatte noch nie erlebt, dass ich früher zurückkam, als ich angekündigt hatte. Ich lernte: Ich darf MIT der Situation gehen und immer neu entscheiden, was JETZT für mich stimmig ist. Ich kann um Unterstützung bitten und ich bekomme sie. Wie entspannend, mir all das zu erlauben! Und ich verstand: Das war der Grund für mein Unwohlsein. Wäre ich in den Leonorenwald gegangen, hätte ich diese Erfahrung nicht machen können. Ich hätte die Zähne zusammen gebissen und die Situation gewuppt, denn Situationen wuppen - das ist mir vertraut. Aber - ich muss meinen alten Mustern nicht folgen, sondern bin frei, von Situation zu Situation immer wieder neu zu entscheiden. Diese Erkenntnis darf jetzt in mich hineinsinken, sich in meine Zellen setzen und wirklich verinnerlicht werden. Und dann integriere ich dieses Wissen in mein ganzes weiteres Leben... Was für eine Erweiterung!
So viele Geschenke
Wieder bekam ich einen Stenz geschenkt, den ich bearbeiten und weiter verschenken werde. Und Federn - ein paar blau schimmernde Stockentenfedern, drei von der Amsel, feine weiße Taubenfedern und ein paar, die ich nicht zuordnen konnte. Ich sammelte mehrere kuschelweiche Daunenfedern vom Waldboden, vielleicht die eines Käuzchens.
Und ich wurde mit klarer Waldluft beschenkt, mit Ruhe, Erholung und Langsamkeit, mit Dankbarkeit für meine innere Stimme, meine Intuition. Ich danke sehr dafür, dass ich nun noch einmal tiefer weiß, dass ich eingeladen bin, gut zu unterscheiden, wann es darum geht, etwas bis zum Ende zu bringen und wann ich weich und liebevoll mit mir sein darf und mir erlaube, etwas vorzeitig zu beenden. Ich danke euch Mücken für die Gewitter-Warnung und verspreche, euern Rat beim nächsten Mal ernst zu nehmen. Ich danke für die Erinnerung daran, mich in angstvollen Situationen selbst beruhigen zu können. Ich danke dafür, noch einmal mehr ins Vertrauen gesunken zu sein, dass das Leben es gut mit mir meint, dass ich getragen, gehalten und beschützt bin. Ich danke dir, Buche, dass es dich gibt, dass du nun schon einige Zeit meine Lehrerin bist und ich bei dir sein kann - bei jedem Wetter, zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit und immer wieder neu...
Widerstand oder Intuition?
Ich wollte den größten Wald im Klützer Winkel aufsuchen. Allerdings nahm mein Unwohlsein zu, je näher der Tag der geplanten Abreise rückte. Seit nunmehr fünf Jahren schenke ich mir jedes Jahr eine Draußenzeit. Deshalb weiß ich inzwischen, dass das mehrtägige Alleinsein in der Natur mir neben wundervollen Erfahrungen wie Tierbegegnungen und Verbundenheitsgefühlen immer auch Herausforderungen bringt. Und die katapultieren mich erstmal aus meiner Komfortzone heraus, bevor ich ihren Schatz bergen kann. Ich vermutete also, dass mein unwohles Gefühl mich vom Verlassen meiner Komfortzone abhalten wollte - ein Widerstand sozusagen... Aber so anhaltend? In der Regel kann ich mich auf meine Intuition verlassen. Jetzt jedoch war ich ratlos. Wie sollte ich zwischen Widerstand und (in diesem Fall warnender) innerer Stimme unterscheiden? Mir half das Sprechen mit einer meiner Schwestern und ein Experiment: Ich stellte mir vor, in den Wald zu ziehen, in dem sich mein Sitzplatz befindet und sofort setzte Entspannung ein. Es fühlte sich an, als fielen zentnerschwere Steine von mir ab. Ich atmete auf und mein ganzes inneres System sagte JAAAA. Dachte ich hingegen daran, in den Leonorenwald zu gehen, zog sich wieder alles in mir zusammen und wurde schwer und drückend. Auf diese deutlichen Signale hörte ich dann, veränderte meinen Plan und zog zu meiner Sitzplatz-Buche. Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen konnte, wovor mich meine innere Stimme beschützte, ging ich da schon davon aus, dass sie es tat. Mir tut es gut, auf sie zu hören und mich so selbst ernst zu nehmen.
Erstmal ankommen
Der Ruf eines der zwei hier lebenden Kolkraben an der Schwelle zum Wald freute mich. Wo war nur der zweite? Ich betrat den Wald, nahm die Veränderung des Lichtes, der Temperatur, des Duftes wahr und sah die Buchen, Fichten, Eschen, Eichen, ab und an eine Vogelkirsche, einen Holunder, eine Eberesche und die Blumen - die letzten Veilchen und Buschwindröschen, leuchtende Goldnessel, die weißen Blüten des Wald-Hornkrauts...
...den ebenfalls blühenden Waldmeister und die ersten feinen Blüten des Ruprechtskrautes (2011 hatte ich damit gefärbt und gedruckt (KLICK))
Dann kam ich zu "meiner" Buche. Es tat sooo gut, mich auf die Erde zu setzen, meinen Rücken an ihren Stamm zu lehnen und zu atmen. Ich liebe den Blick in ihre ausladende Krone und bestaunte das Licht, das zu dieser Jahreszeit durch die schon großen, aber noch zarten Blätter fällt.
Und doch dauerte es diesmal eine lange Zeit, bis ich wirklich angekommen war. Wie viele Gedanken durch meinen Kopf flogen, war mir bis dahin kaum bewusst. Ich bemerkte es erst hier, als ich nichts musste, sollte, wollte, sondern einfach sein durfte... Die sinnliche Wahrnehmung half mir beim Ankommen. Ich spürte den Waldboden unter mir, hörte das trockene Laub des Vorjahres rascheln. Der Wind strich mir über die Haut. Ich knabberte etwas Sauerklee und schmeckte die frische und angenehme Säure. Und dann tat ich weiter nichts. Nahm nur wahr. Sah die feinen Buchenblätter sich im Wind bewegen, beobachtete das Licht- und Schattenspiel, folgte dem Flug von Schmetterlingen mit den Augen, lauschte den Geräuschen des Waldes, dem Zwitschern, Rufen, Singen, Krächzen des gefiederten Volkes und immer wieder dem Wind, der dort an meinem Platz kräftig blies. Ich lauschte und lauschte...
Die erste Nacht
Für die Nacht legte ich eine Plane in die mit trockenem Laub gefüllte Senke, meine Isomatte darauf und mein Bett war fertig. Die Sonne sank...
...die Dämmerung fiel, die zunehmende Dunkelheit verschluckte die Farben, die Geräusche veränderten sich. Ich kroch in meinen Schlafsack, der Wind lullte mich ein und ich dämmerte hinweg. Ich kann in der Regel gut und überall schlafen, merke jedoch, dass der Schlaf draußen eine andere Qualität hat. Er ist leichter und erlaubt mir, bei ungewohnten Geräuschen schnell zu erwachen. Da sitzt mir wohl etwas Uraltes in den Genen. Ich hörte es Knabbern und Knuspern und erinnerte mich an ein Mäuschen, das ich in einer früheren Draußenzeit kennengelernt hatte. Ein Geschöpf trabte in der Nähe meines Schlafplatzes rasch vorbei. Das trockene Laub machte jede Bewegung hörbar. Ich vermutete, es war ein Fuchs, bin aber nicht sicher. Allerdings war mein Schlaf tief genug, dass ich nicht merkte, dass Mücken mir mitten in meine Nasenspitze gestochen hatten. Als ich erwachte, pochte und pulsierte sie und war angeschwollen. Überhaupt gab es hier sooo große und viele Mücken. Der viele Regen in der letzten Zeit hatte dafür gesorgt, dass alle Senken im Wald mit Wasser gefüllt waren und sich kleine Teiche und Wassergräben gebildet hatten. Ideale Mückenbedingungen also... Deshalb beschloss ich, für die nächsten Nächte Ramonas (KLICK) Moskitonetz aufzuhängen und mich so vor den kleinen Blutsaugern zu schützen.
Das Mini-Feuer hüten
Am Morgen kochte ich mir mit meinem ganz einfachen Holzkocher, der aus einem Ikea-Besteckbehälter, zwei langen Schrauben und einer Metalltasse besteht, einen Tee. Ich hatte Rohrkolbenwolle und feine Streifen Birkenrinde als Zundermaterial dabei, sammelte kleine Zweige und schlug mit Feuerstahl und Magnesiumstab heiße Funken ins Zundernest. Wie ich es liebe, so ein klitzekleines Feuer zu schüren und achtsam zu füttern, mit meiner Aufmerksamkeit nur bei den feinen Flammen zu sein!
Der so zubereitete Tee schmeckte mir besonders köstlich. Durch das Fasten - ich trank morgens Tee und ansonsten Wasser - verlangsamte ich. Zeit wurde bedeutungslos. Ich beobachtete einzig den Lauf der Sonne, suchte mir Sonnenflecken auf dem Waldboden und badete dort in Wärme und Licht. Ab und an summte oder tönte ich, aber die meiste Zeit war ich still. Ich schrieb nicht einmal Tagebuch.
Tierbegegnungen
Ein großer Feldhase drückte sich in seine Sasse, bis ich ganz nah heran gekommen war. Erst dann sprang er auf und flitzte davon. An einem anderen Morgen kam er (oder ein anderer) bis nah an meinen Schlafplatz heran, zupfte hier und naschte dort, hoppelte auf das nahe Feld und kam später wieder zurück. Er war ganz gemütlich unterwegs. Anders als einige Wildschweine abends, die wohl an die feuchte Senke wollten, mich jedoch witterten und schnell wie der Wind davonstoben, so dass die trockenen Zweige unter ihnen nur so krachten. Tja, wieder kein Glück bei der Beobachtung. Dabei gibt es in der Nähe meines Sitzplatzes eine viel besuchte Suhle und zwei eindrucksvolle Mahlbäume. Solang ich jedoch da war, ließ sich dort kein Schwein blicken.
In der zweiten Nacht hörte ich langsame, aber kraftvolle Schritte eines Zweibeiners, die näher und näher und dann ganz nah kamen... Ich hörte, wie etwas an meinem Rucksack zupfte, der vor dem Moskitonetz an einem Baum lehnte, hob ganz langsam den Kopf. Der Nandu erschrak und rannte davon. Wow! So nah war ich noch keinem gekommen. Im Dezember hatte ich hier in meinem Sitzplatzwald bereits ein Ei (KLICK) gefunden, wußte also, dass sie hier brüten.
Ich hörte die sehnsuchtsvollen Stimmen der Kraniche, den Ruf des Bussards, sah, wie der Rotmilan sich am Waldrand auf einem hohen Baum niederließ.
Beim Umherstromern und Federn sammeln erschreckte ich einen Rehbock, der seinem Unbehagen noch lange und lautstark Ausdruck verlieh. Eine Ricke kam nah an meinem Platz vorbei. Sie nahm mich wohl nicht wahr und blieb ganz entspannt, denn der Wind stand gut für mich und ich war mucksmäuschenstill.
Aber ich beobachtete auch viele kleine Geschöpfe: Springspinnen, Libellen, Käfer, eine rote Samtmilbe...
...und ganz viele Hummeln. Einige Zeit lag ich einfach auf dem Bauch und betrachtete den einen Quadratmeter Waldboden vor meiner Nase. Wieviel Leben darin war und wieviel Tod... Werden, Wachsen und Vergehen, im Kleinen wie im Großen und ich selbst war Teil des Ganzen...
Herausforderung
Es war durchweg wunderbares Sommerwetter im Mai. Selbst nachts war es warm, so dass ich unter dem Moskitonetz sogar mit offenem Schlafsack liegen konnte. Ich hatte darauf verzichtet, mein Tarp aufzuspannen und genoss es, unter freiem Himmel und dem so grünen Blätterdach zu sein. Dann tauchten Wolken auf und der Himmel zog sich recht rasch zu. Obwohl auch die Mücken mich warnten, immer rasender wurden und ich ihre Sprache hätte verstehen können, hörte ich nicht auf sie. Und dann war es zu spät... Ein Gewitter krachte los. Blitz und Donner, gepaart mit Starkregen. Jetzt war es auch zu spät, das Tarp aufzuspannen. Dieses Moskitonetz ist aufgrund seiner Pyramidenform ohnehin nicht tarptauglich. Also schlüpfte ich lieber hinein, hockte mich auf meine Isomatte, zog das Tarp über mich und meine Sachen und hoffte darauf, dass das Gewitter schnell vorüber ging. Stattdessen blitzte es grell, krachte der Donner, ging es Schlag auf Schlag. Der Regen nahm eher noch zu, das Gewitter beruhigte sich mal, flammte dann jedoch wieder neu auf und ich hatte Angst... Um mich zu beruhigen, sang ich ein Lied der Cherokee und wiederholte es ein ums andere Mal. Das half mir tatsächlich, inmitten des Tumultes ruhig zu werden.
Als das Gewitter dann vorbei war und es nur noch von den Bäumen tröpfelte, hockte ich unter dem Moskitonetz mitten in einem See aus Regenwasser. Meine Picknickdecke, die mir als Unterlage gedient hatte, war ebenso nass wie meine Jacke, mein Daunenschlafsack und einfach alles...
Auf dem Regenwassersee schwammen Blütenpollen und zeigten schlierige Muster. Es war irgendwie absurd und zum Lachen. Ich betrachtete die Situation und beschloss, dass meine Draussenzeit jetzt beendet sei, rief meinen Gefährten an und bat ihn, mit unserer großen Einkaufskiste in den Wald zu meinem Sitzplatzbaum zu kommen. Dorthinein kamen die schweren nassen Sachen, die wir zu Hause im Garten zum Trocknen aufhängten.
Das war eine für mich ziemlich neue Situation, denn es entspricht mir eher, die Zähne zusammen zu beißen und allein eine Lösung zu finden. Da ich das aber kann, war meine Lernaufgabe hier eine andere.
Rainer staunte auch, denn er hatte noch nie erlebt, dass ich früher zurückkam, als ich angekündigt hatte. Ich lernte: Ich darf MIT der Situation gehen und immer neu entscheiden, was JETZT für mich stimmig ist. Ich kann um Unterstützung bitten und ich bekomme sie. Wie entspannend, mir all das zu erlauben! Und ich verstand: Das war der Grund für mein Unwohlsein. Wäre ich in den Leonorenwald gegangen, hätte ich diese Erfahrung nicht machen können. Ich hätte die Zähne zusammen gebissen und die Situation gewuppt, denn Situationen wuppen - das ist mir vertraut. Aber - ich muss meinen alten Mustern nicht folgen, sondern bin frei, von Situation zu Situation immer wieder neu zu entscheiden. Diese Erkenntnis darf jetzt in mich hineinsinken, sich in meine Zellen setzen und wirklich verinnerlicht werden. Und dann integriere ich dieses Wissen in mein ganzes weiteres Leben... Was für eine Erweiterung!
So viele Geschenke
Wieder bekam ich einen Stenz geschenkt, den ich bearbeiten und weiter verschenken werde. Und Federn - ein paar blau schimmernde Stockentenfedern, drei von der Amsel, feine weiße Taubenfedern und ein paar, die ich nicht zuordnen konnte. Ich sammelte mehrere kuschelweiche Daunenfedern vom Waldboden, vielleicht die eines Käuzchens.
Und ich wurde mit klarer Waldluft beschenkt, mit Ruhe, Erholung und Langsamkeit, mit Dankbarkeit für meine innere Stimme, meine Intuition. Ich danke sehr dafür, dass ich nun noch einmal tiefer weiß, dass ich eingeladen bin, gut zu unterscheiden, wann es darum geht, etwas bis zum Ende zu bringen und wann ich weich und liebevoll mit mir sein darf und mir erlaube, etwas vorzeitig zu beenden. Ich danke euch Mücken für die Gewitter-Warnung und verspreche, euern Rat beim nächsten Mal ernst zu nehmen. Ich danke für die Erinnerung daran, mich in angstvollen Situationen selbst beruhigen zu können. Ich danke dafür, noch einmal mehr ins Vertrauen gesunken zu sein, dass das Leben es gut mit mir meint, dass ich getragen, gehalten und beschützt bin. Ich danke dir, Buche, dass es dich gibt, dass du nun schon einige Zeit meine Lehrerin bist und ich bei dir sein kann - bei jedem Wetter, zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit und immer wieder neu...
1 Kommentar:
Das hört sich so schön an! Ich würde auch gerne mal im Wald übernachten, alleine traue ich mich aber nicht - zumindest beim ersten Mal hätte ich gerne jemanden dabei. Können Wildschweine nicht gefährlich werden?
Ich stelle es mir schön vor, im Wald zu schlafen. Ich habe oft Schlafprobleme - nachdem Schlafmittel nicht mehr wirklich helfen, versuche ich es gerade natürlicher 5-htp, aber vielleicht wäre etwas frische Luft eher das, was ich brauche - auch um mal runter zu kommen.
Ich finde deine Buche übrigens wahnsinnig schön - Buchen sind generell meine Lieblingsbäume, ich mag die glatte Rinde, und die etagenartig stehenden Blätterdecken :)
lg Toni
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